DAS FUNKTIONALE SEHEN

in der
Frühbetreuung und im Spezialunterricht
der
sehgeschädigten Kinder

Lea Hyvärinen
Priv. Doz. der Universität in Oulu und in Tampere

Bei Betrachtung der frühen Interaktion sowie der frühen Lernprozesse kommt dem Sehsinn eine herausragende Bedeutung zu. Um die Entwicklung von sehgeschädigten Säuglingen und Kindern richtig unterstützen zu können, ist es wichtig die Sehfunktionen genau und mehrmals zu untersuchen.

Die Untersuchung soll alle Sehfunktionen umfassen, nicht nur den Visus und die Größe des Gesichtfeldes. Das Ziel dieser Untersuchung soll eine dezidierte Einschätzung der starken und der schwachen Seiten aller Sehfunktionen ermöglichen, so dass die Frühbetreuung und der Unterricht nach den Bedürfnissen des Kindes geplant werden können. Die Einschätzung des funktionalen Sehvermögens lässt sich am besten in einem transdisziplinären Team verwirklichen. Der Begriff der Transdisziplinarität ist umfassender als der der Interdisziplinarität. Transdisziplinarität meint die Zusammenarbeit und das gemeinsame voneinander und miteinander Lernen in gemeinsamen Untersuchungs- und Testsituationen von Mitarbeitern mit unterschiedlichen Professionen.

Bei der Untersuchung der Schulkinder und der Erwachsenen sind die folgenden vier Bereiche der Sehfunktionen von Bedeutung:

  1. Kommunikation (sowohl von Person zu Person als auch in der Gruppe),
  2. Orientierung und Mobilität (der gesamte Bereich "Wahrnehmung und Bewegung"),
  3. Lebenspraktische Fertigkeiten oder Alltagspraktische Fertigkeiten und
  4. Aufgaben, die ein länger andauerndes Sehen in der Nähe erfordern, z.B. Lesen und Schreiben (auf englisch "sustained near vision tasks").

Bei der Untersuchung von Säuglingen ist der Einfluss des abweichenden Sehens auf die Entwicklung besonders zu berücksichtigen, da die Entwicklung sehr schnell vorangeht. Wenn wichtige Sehfunktionen fehlen, sollte man kompensatorische Blindentechniken rechtzeitig einführen. Die wichtigsten Bereiche der Entwicklung während des ersten Jahres sind:

  • die visuelle Kommunikation,
  • frühe Interaktion,
  • Motorik,
  • räumliche Wahrnehmung,
  • Orientierung im Raum, sowie
  • die Objektkonstanz und
  • Sprache.

Bei der Einschätzung dieser unterschiedlichen Bereiche sind folgende drei Fragen von Bedeutung:

  1. Wie ist die Qualität des Bildes, das das Kind sieht?
  2. Wie verarbeitet das Kind die Information in den höheren visuellen Funktionen?
  3. Wie beeinflussen die Abweichungen des Sehverhaltens die Entwicklung des Kindes?

Die Qualität des Bildes?

Mit dem Begriff "Qualität des Bildes" ist die Qualität der visuellen Informationen aller Art gemeint. Sie bezieht sich nicht nur auf die Linienstruktur des Bildes in dem gewöhnlichen Sinne des Wortes 'Bild'. Die visuelle Information besteht aus drei Grundkomponenten. Wir sehen:

  • Formen
  • Farben und
  • Bewegung.

In der augenärztlichen Untersuchung von Menschen mit einer Sehbehinderung messen wir in der Regel nur einen Teil der Formwahrnehmung - nämlich die Sehschärfe bei hohem Kontrast. Das Farbensehen wird oft nicht gemessen und das Bewegungssehen nie. Kein Wunder, dass man die Qualität des Sehens der Sehbehinderten so oft missverstanden hat.

Weiter sollte man Informationen über die Größe und die Qualität des Gesichtfeldes, sowie die Hell-Dunkel-Adaptation bei verschiedenen Beleuchtungsstufen (Nachtblindheit oder Tagblindheit) und die Motilität der Augen untersuchen. Wenn das Kind mehrere Schädigungen hat, soll man den Einfluss der anderen Behinderungen auf die Sehfunktionen und umgekehrt, den Einfluss der abweichenden Sehfunktionen auf die anderen Schädigungen, gründlich untersuchen.

Die Sehbahnen

Das Sehen ist eine Gehirnfunktion. Obwohl das Phänomen des Sehens in den Augen beginnt, ist das Sehen eine typische Funktion des Gehirns. Um die Folgen unterschiedlicher Veränderungen der Sehbahnen auf die visuellen Wahrnehmungen zu verstehen, müssen wir die Struktur der Sehbahnen und die cortikale Verarbeitung der visuellen Informationen kurz ansprechen.

Die visuelle Reize, die in der Netzhaut durch chemische und elektrische Reaktionen hervorgerufen werden, erreichen das Gehirn über zwei Hauptbahnen:

  1. durch die retinocalcarinen Bahnen von der Netzhaut zum lateralen Kniehöcker und von dort zum primären visuellen Cortex - dem klassischen Sehzentrum,
  2. durch die tectalen Bahnen, deren Faser vor dem Kniehöcker die retinocalcarinen Fasern verlassen und durch den Vierhügel (Colliculus superior) und das Pulvinar die Informationen an zahlreiche subcortikale und cortikale Bereiche weiterleiten.

Bild 1. Die Sehbahnen. Von der Netzhaut geht die Information durch den Sehnerv (SN) und die Sehnervenkreuzung, Chiasma opticum (CH), entweder zum Kniehöcker (KH) und von dort aus zur primären visuellen Gehirnrinde als die retinocalcarine Bahn, oder zum Vierhügel (VH) und Pulvinar (PU), wovon die Information zu mehreren subcortikalen und cortikalen Funktionen überliefert wird. In den Sehbahnen gibt es verschiedene Nervenfasern: Etwa 80% sind dünne parvozellulare (P) (parvo=klein) Fasern, die Information auf hohen Kontraststufen leiten. Da diese Fasern dünn sind, ist die Geschwindigkeit der Transmission relativ niedrig. Etwa 10% der Fasern sind dicke magnozellulare (M) (magno=gross) Fasern, die Bewegungsinformation und schwarz-weisse Information auf niedrigen Kontraststufen leiten. In den dicken Fasern ist die Geschwindigkeit größer als in den dünnen Fasern. In der retinocalcarinen Bahn gibt es überwiegend parvozellulare Fasern, in der tectalen Bahn überwiegend magnozellulare Fasern. Von der primären visuellen Gehirnrinde verteilt sich Information zu fast alle Gehirn- gebieten durch zwei Hauptrichtungen: durch den ventralen Informationsstrom (VS) zum inferiorischen, unteren Teil des Temporallappens und durch den dorsalen Informationsstrom (DS) zu dem Parietallappen.

Während der Untersuchung und Beobachtung der visuellen Funktionen sollte man berücksichtigen, dass eine abweichende Funktion oder Reaktion durch Veränderungen auf drei verschiedenen Ebenen verursacht werden kann:

  1. in den Augen oder im Sehnerv, die sogenannten anteriorischen Sehbehinderungen,
  2. in den Sehbahnen nach dem Kniehöcker oder in der primären visuellen Gehirnrinde und
  3. in der visuellen assoziativen Gehirnrinde.

Eine Sehbehinderung, die von Veränderungen in den Sehbahnen nach dem Kniehöcker, im Cortex oder in den subcorticalen Strukturen verursacht ist, nennt man auf englisch "cerebral visual dysfunction/disability". Im Gegensatz zu der Sehschädigung, die von den Veränderungen in der Strukturen vor dem Kniehöcker verursacht ist, nennt man diese von Gehirnläsionen verursachten Sehbehinderungen zusammenfassend die posteriorischen Sehbehinderungen.

In unserer praktischen Arbeit ist es wichtig, uns an diese beiden Formen der Sehbehinderung - die anteriorische und die posteriorische zu beachten und Funktionen in beiden Bereichen zu untersuchen. Bei der Einschätzung der funktionalen Veränderungen im posteriorischen Bereich ist es wichtig zu unterscheiden, ob die Schädigung in den hinteren Sehbahnen, im primären visuellen Cortex oder im visuellen assoziativen Cortex liegen. Läsionen in den hinteren Sehbahnen und im primären visuellen Cortex verursachen Ausfälle, Skotomen, im Gesichtsfeld; Läsionen im visuellen assoziativen Cortex dagegen keine Skotomen sondern verschiedene Wahrnehmungsprobleme. Bei posteriorischen Sehbehinderungen können die Sehschärfe und das Gesichtsfeld normal sein, auch wenn die Person wegen Wahrnehmungs- oder augenmotorischen Probleme schwer sehbehindert ist.

Sehfunktionen im Temporallappen, im Bereich des Ventralen Informationstroms, sind die Funktionen des Wiedererkennens, der Formwahrnehmung, der Farbwahrnehmung, der Gesichterkennung, der Erkennung des Gesichtsausdrucks usw., die im Parietallappen sind mit räumlicher Orientierung im ego- und allozentrischen* Raum und der Auge-Hand-Koordination verbunden. Parietales Sehen hat einen anderen Charakter als das Sehen im Temporallappen. Dies kann man nachvollziehen, wenn man seine Hand vor den Augen schnell bewegt: Man sieht die Bewegung, nicht die Einzelheiten der Struktur und man kann sich nicht an die verschiedenen Phasen der Phänomene erinnern. Wenn wir die Umgebung anschauen und uns bewegen, verarbeiten wir so eine große Menge von visuellen Informationen, dass sie gleich nach der flüchtigen Analyse ausgelöscht werden müssen, um den Analysemechanismus nicht zu überfordern.

* allozentrisch = ausserhalb des egozentrischen Raumes

Untersuchung der Säuglinge

Während der ersten Wochen spielen das Riechen, die taktile Information, der Körperkontakt und die Eigenbewegung die wichtigste Rolle, danach wird die visuelle Kommunikation zu einem wichtigen Baustein der frühen Interaktion. Ein Kind mit normalem Sehen verfügt schon im Alter von drei Monaten über visuelle Kommunikation, die die Erwachsenen ohne Schwierigkeiten verstehen (Bild 2.A) und die sie belohnend erfahren.

Ein sehbehindertes Kind kann die Mimik unklar sehen und erhält dadurch weniger Informationen als ein normalsehendes Kind. Bei einem Zentralskotom (= Ausfall des zentralen Gesichtsfeldes) und dadurch bedingter exzentrischer Fixation sieht es aus, als schaue das Kind an dem Erwachsenen vorbei, wenn es versucht, mit dem funktionsfähigsten Bereich seines Gesichtsfeldes den Erwachsenen anzuschauen (Bild 2.B). Das Kind konzentriert sich häufig auch auf die auditiven Informationen, was man oft als mangelndes visuelles Interesse interpretiert.

Bei der Untersuchung des Sehens für Kommunikation versucht man drei Fragen zu beantworten:

  1. gebraucht das Kind zentrales Sehen, hat das Kind einen "normalen" Blickkontakt,
  2. gebraucht das Kind extrafoveale Gebiete der Netzhaut zur Fixation und sieht es dadurch aus, als ob es am Gesicht des Erwachsenen vorbeischaut,
  3. wie weit muss sich der Erwachsene dem Kind annähern, um von dem Kinde gesehen zu werden.

Unsere Erwartungen bei der frühen Interaktion gründen sich auf unseren Erfahrungen aus der Kommunikation mit normalsehenden Kindern. Darum ist es oft schwierig, die abweichenden Reaktionen des sehbehinderten Kindes als normal zu akzeptieren. Die Eltern und andere Leute, die mit dem Kind umgehen, brauchen Hilfestellungen und Beispiele effektiver Kommunikation. Oft helfen Videos die Eltern davon zu überzeugen, dass das Kind sich an der Interaktion wirklich beteiligt und sich darüber freut (Bild 2.B).



Bild 2. Kommunikation der Säuglinge. A. Ein normalsichtiges Kind zeigt schon im Alter von drei Monaten visuelle Kommunikation, die die Erwachsenen ohne Schwierigkeiten verstehen. B. Interaktion eines fünf Monaten alten Kindes, das ein Kolobom (Spaltbildung) in beiden Augen hat und gleichzeitg auch gehörlos zu sein scheint, ist durch den abweichenden Blickkontakt gestört. Es sieht aus, als schaute das Kind auf das Haar und nicht an das Gesicht des Erwachsenen zu. Der Gebrauch von TADOMA, der taktilen Untersuchung der Vibration der Stimmbänder und der Bewegungen der Lippen, kann dem Kind helfen, die sprachliche Kommunikation als eine Kommunikationsfunktion zu verstehen. Wenn ein Kind die Gesichter wegen schlechter Kontrastempfindlichkeit nicht sehen kann, sollen die Erwachsenen ihnen mit Make-up ( Männer mit Konturstift) mehr Kontrast geben. (Diese Bilder sind von Videoaufnahmen, die auf der CD "LH Teaching Materials" zu finden sind.)

Wenn ein Kind Akkommodationschwäche oder eine hochgradige Hyperopie hat, beeinträchtigen diese die visuelle Kommunikation, da das Kind im Nachbereich kein scharfes Netzhautbild erzeugen kann. Die Schwierigkeiten im Nahvisus können sogar als Infantiler Autismus disgnostisiert werden (Bild 3). Diese Kinder sollen möglichst schnell "Lesebrillen" (Grundrefraktion mit +3,0 dpt Nahkorrektion) erhalten, wenn Akkommodationsschwierigkeiten diagnostiziert werden. Dies geschieht gewöhnlich im Alter von 3-4 Monaten. Hochgradige Hyperopie korrigiert man schon früher. In diesen frühen Alter ist es oft problematisch, geeignete Brilleneinfassungen zu finden.

Akkommodationschwäche ist häufig bei zerebralen Schädigungen, die Muskelhypotonie verursachen; die intraokularen Muskeln sind auch hypotonisch und dadurch die Akkommodation schwach. Die Akkommodationschwäche findet man oft bei der Trisomie 21 (Down Syndrom) und auch als eine "idiopatische" (=ohne eine klare Ursache) Phenomen in gesunden Kindern.

Bild 3. Ein vier Monat altes Mädchen "vermeidete Augenkontakt" und wurde deshalb als autistisch diagnostisiert. A. Das Mädchen wendete den Kopf zur Seite, wenn die Mutter ganz nahe war. B. Da das Mädchen keine Akkommodation zeigte, versuchte ich mit Lesebrillen ein klares Bild auf die Netzhaut zu bringen. Das Mädchen hatte gleich einen normalen Augenkontakt. C. Nach einigen Sekunden zeigte sie zum ersten Mal auch ein normales soziales Lächeln.

Die Einschätzung des Sehens für motorische Entwicklung ist der zweite wichtige Teil der Untersuchung. Objekte zu greifen, zu einem interessanten Spielzeug zu kriechen oder sich aufzurichten sind stark von visuellen Reizen und von der Entwicklung der räumlichen Begriffe beeinflusst. Darum ist es wichtig das Sehen für die Entwicklung der räumlichen Konzepte zu untersuchen. Wenn ein Kind Einzelheiten in der Umgebung nicht sieht, kann man durch die entsprechende Wahl des Spielzeugs und durch Gebrauch des 'kleinen Raumes' (little room) (Hyvärinen 1998) unterstützen.

Sehbehinderte Kinder haben oft motorische Probleme und haben deshalb Krankengymnastik. Physiotherapeuten, die keine Erfahrung mit sehbehinderten Säuglingen haben, sollten vom Frühbetreuungsteam unterstützt werden. Sie machen oft wichtige Beobachtungen über der Entwicklung des Kindes, da sie das Kind regelmäßig 2-3mal wöchentlich sehen.

Für den Zeitraum des ersten Lebensjahres gibt es nur wenige spezifische Testverfahren. Zu Beginn einer Untersuchung beobachten wir, wie das Kind die Umgebung betrachtet und wie die Interaktion zwischen dem Kind und den Eltern aussieht. Dann untersucht man die Augenmotorik, Fixation, Folgebewegungen, Sakkaden und die Konvergenz.

Binokularsehen ist bei sehbehinderten Kindern ziemlich selten. Wenn das Kind mit beiden Augen sieht, kann man durch monokulare Fixation, Folgebewegungen und Sakkaden Qualität des Sehens zwischen den beiden Augen vergleichen. Den Stereotest von Lang kann man nur selten anwenden. Das Gesichtsfeld wird als Konfrontations-gesichtsfeld gemessen. Später, wenn das Kind aufrecht sitzt, kann man mit Ballspielen das Sehvermögen der Gesichtsfeldhälften vergleichen. Die Sehschärfe kann nur als Gittersehschärfe gemessen werden. Für die Einschätzung der Kontrastempfindlichkeit ist der Hiding Heidi Test geeignet.

Während der Überprüfung der Gittersehschärfe und des Hiding Heidi Tests kann man beobachten, ob die Folgebewegungen normal sind oder ob das Kind typische Verhaltensweisen eines hirngeschädigten Kindes hat: das Kind macht die Folgebewegung nicht mit, sondern eine Sakkade, wenn der Stimulus stehenbleibt (=eine Schwierigkeit bewegte Objekte wahrzunehmen) oder es macht normale Folgebewegungen mit und sieht überrascht aus, wenn der Stimuli stehen bleibt ( was auf eine Schwierigkeit unbewegte Objekte wahrzunehmen hinweisen kann).

Bild 4. Wenn ein Säugling die Folgebewegung fortsetzt, obwohl der Fixationsstimulus hinter der Mauer verschwindet, hat er bereits mehrere visuelle, motorische und Gedächtnisfunktionen entwickelt.

Visuelle Antizipation und die Fähigkeit Bewegungsgeschwindigkeit wahrzunehmen kann man in einer spielerischen Testsituation beurteilen: (Bild.4) Man benutzt eine Scheibe, die auf einer Seite gerade ist und auf der anderen Seite wie eine Burgmauer aussieht. Davon kommt der Name 'Castle Game'. Zuerst beobachtet man die Folgebewegungen, in dem man ein Fixationsobjekt an dem geraden Seite entlang bewegt. Wenn das Kind die Folgebewegungen erfasst hat, benutzt man die andere Seite und beobachtet, ob die Augenbewegungen sich fortsetzen, wenn das Fixationsobjekt hinter der Mauer verschwindet. Wenn die Geschwindigkeit des Fixationsobjekts richtig wahrgenommen ist, ist die Blickrichtung gleichzeitig mit dem Fixationsobjekt am Rande des Mauerloches, wo das Objekt wieder erscheint.

Wenn ein Kind in dieser einfachen Testsituation regelmäßige Folgebewegungen hat, weiß man, dass das Kind visuelle Informationen zur Analyse der Geschwindigkeit und Richtung verwenden und diese Informationen für motorische Planungsfunktionen verwenden kann, und dass die augenmotorischen Funktionen vorhanden sind. Hierbei hat man gleich mehrere wichtige Gehirnfunktionen beobachtet.

Es gibt schwer sehgeschädigte Kinder, die die gewöhnlichen Testobjekte nicht sehen oder nicht anschauen. Da gebraucht man Objekte mit sehr hohem Kontrast, "black light" Situationen oder Bilder, wo Diodlichter, die nach einander kurz scheinen, eine Wahrnehmung von Bewegung hervorrufen.

Die Fähigkeit Gesichtsausdrücke nachzuahmen ist oft schon beim Geburt vorhanden. Wenn das Kind auf Gesichtsausdrücke nicht reagiert, ist es wichtig zu untersuchen, ob das Kind (wegen Refraktionsfehlern oder anatomischen Läsionen in den Augen) so ein unklares Bild hat oder ob dem Kind vielleicht eine höhere visuelle Funktion, das Wiedererkennen der Gesichtsausdrücke fehlt. Wenn das Kind im Alter von 11-12 Monaten die Familienmitglieder nicht visuell erkennt, soll man mit einer Kommunikationstherapie beginnen, damit das Kind soziale Interaktionsfertigkeiten durch nicht-visuelle Strategien entwickeln kann.

Auge-Hand-Koordination kann man schon im Alter von wenigen Wochen beobachten, wenn der Säugling auf Objekte zu schlagen und dann zu greifen versucht. Sehbehinderte Kinder unter-suchen Objekte mit dem Mund oft viel später als normalsehende Kinder. ( Viele erwachsene sehbehinderte Personen gebrauchen die taktile Information der Zunge um kleine Details zu studieren.)

Generell gilt: Während der Untersuchung soll man sich mehrmals die Frage stellen, ob eine ausbleibende Reaktion auf einer schlechten Bildqualität oder veränderter höherer visueller Funktion beruht, oder ob sogar beide Faktoren die visuelle Information beeinflussen.

Klein und Vorschulkinder

Wenn ein Kind den Begriff "gleich" gelernt hat, kann man beginnen, die Testsituationen spielerisch zu üben. Farben zu vergleichen fällt den meisten Kindern leichter als das Vergleichen von Formen. Darum ist es ratsam mit der farbigen Seite der LEA-Puzzle zu beginnen (Bild 6), zuerst nur die leichteren Formen, die runde und die viereckige Puzzelform, dem Kinde zu geben. Nachdem die dreidimensionalen Formen richtig verglichen werden, kann man beginnen, das Bildverständnis zu entwickeln. Man zeichnet um eine Puzzelform herum und bewundert mit dem Kind, dass die Form auf das Bild passt. Dann zeichnet man immer kleinere Bilder dieser Formen. Dieses Spiel ist schon ein Test der Sehschärfe.

Sehschärfe wird zuerst mit einzelnen Symbolen gemessen. Es ist oft möglich schon im Alter von 20 Monaten die Sehschärfe mit Symbol-Tests zu messen und die Resultaten mit denen der Gittersehschärfe zu vergleichen. Wenn ein Kind irgendwelche Gehirnverletzungen hat, versucht man so früh wie möglich die Sehschärfe mit dem Reihentest und mit dicht gruppierten Symbolen messen. Wenn mit den Einzelsymbolen eine viel bessere Sehschärfe als mit dem Reihentest und mit den dicht gruppierten Symbolen gemessen wird, so heisst es, dass die Crowding-Phänomen stärker als normal ist. Dies ist oft das erste Testresultat, welches auf eine posteriorische Sehbehinderung hinweisen kann.

Die Kontrastempfindlichkeit kann man mit den gleichen Symbolen messen. Farbensehtest gibt es jetzt im Internet auf meiner Homepage. Bei diesem lernt man die Testfarben zu vergleichen. Mit dem Panel 16 Farbensehtest kann man dann das Farbensehen schon früh messen, wenn man nicht sicher ist, ob das Kind die Farben richtig sieht. Im Vorschulalter ist Farbensehen noch wichtiger als Schwarz-weiss-sehen, da Spielzeug und Bilderbücher wenig schwarz-weisse Information enthalten.

Im Alter von zwei Jahren kann man schon den Worth-4-Dot Test gebrauchen, etwas später auch den TNO-Test, um Binokularsehen zu überprüfen. Schobers Test kann gebrauchen, wenn das Kind den Begriff "in der Mitte" gelernt hat. In diesem Alter beginnt sich das Dämmerungssehen bei vielen Netzhautdegenerationen zu verändern und die Adaptationszeit wird länger. Dies kann man gut mit dem CONE Adaptationstest messen. Diese Untersuchung ist vor allem wichtig, wenn ein Kind taub oder hörgeschädigt ist, da in dieser Gruppe das Usher Syndrom Retinitis-pigmentosa-gleiche Netzhautänderungen verursacht.

Im Alter von 18 Monaten sind manche Kleinkinder bereit mit anderen Kindern zu spielen. Wenn ein sehgeschädigtes Kind die Gesichte wegen schlechter Bildqualität nicht sieht oder die Gesichte oder die Gesichtsausdrücke wegen einer Gehirnverletzung nicht erkennt, ist die kommunikative und soziale Entwicklung des Kindes gedroht. Deshalb sollen diese Fertigkeiten so früh wie möglich untersucht werden. Durch Beobactung und Fragen lernt man, ob das Kind die anderen Kinder sieht oder erkennt.

Für Beobachtung des Wiedererkennens der Gesichtsausdrücke habe ich ein Kartenspiel mit sechs gewöhnlichen Ausdrücken designet. Es gibt zwei gleiche Karten jedes der Ausdrücke (Bild 5) und eine Karte, wo Heidi eine Haarschleife hat. Erkennt das Kind nicht dieGesichtsausdrücke, so findet es die Bilder mit der Harrschleife gleich, obwohl die Gesichtsausdrücke ungleich sind. Diese Karten gibt es auf 100%, 10% und 2.5% Kontrast, damit man den Einfluss von Kontrastempfindlichkeit überprüfen kann.

Bild 5. Heidi Expressions (Ausdrücke) Karten enthalten sechs gewöhnliche Gesichtsausdrücke. Jedes Ausdruck gibt es zwei gleiche Bilder und ein drittes, wo Heidi eine Haarschleife hat. Dadurch kann man in einer Spielsituation die Wahrnehmung der Ausdrücke beobachten.

In Kleinkindergruppen sollen die Kinder mit Kommunikationschwierigkeiten einen Dolmetscher haben, der dem Kinde dabei hilft zu erfahren, wer etwas sagt. Es hilft auch, wenn jedes der anderen Kinder und jede der Pflegepersonen immer ein typisches spezifisches Detail an der Kleidung hat. Hierdurch wird ein visuelles Wiedererkennen möglich gemacht. Dieses typische Merkmal unterstützt die sonst häufige akustische oder synästhetische Wiedererkenungsstrategie der sehbehinderten Kinder. Ohne Hilfe erfährt das zerebral sehgeschädigte Kind die Kindergruppe oft zu schwierig, wird müde und ängslich, und bleibt lieber einsam in einer Ecke oder bei den Lehrerinnen.

Die zerebrale Sehschädigung kann auch das Erkennen von Linienrichtungen oder von der Linienlänge hindern, ohne das die anderen Wahrnehmungsfunktionen gestört sind. Deshalb ist es möglich, dass ein Kind die Karte in dem PV-Briefkasten Test (Bild 6) ohne Schwierigkeiten durch das Loch hineinwirft, die Richtung der Karte rein visuell aber nicht wahrnehmen kann. In gleicher Weise ist es möglich, dass ein Kind nicht sagen kann, welcher von den zwei PV-Rechtecken länger ist (Bild 7), kann den Unterschied zwischen dem längeren und dem kürzeren haptisch lernen und jedoch den Unterschied nicht visuell wahrnehmen. Das Greifen der Rechtecke kann gute Auge-Hand Koordination zeigen. In beiden Fällen ist die Funktion im Temporallappen gestört, und die parietalen Sehfunktionen für die Hand richtige Informationen geben.

Bild 6. Testsituationen mit dem LEA-Briefkasten Test. A. Das Kind kann die Richtung des Lochs zeigen. Die Karte wird in richtige Richtung gedreht, bevor die Karte die Hälfte der Entfernung durchbewegt ist. B. Das Kind kann die Karte auch durch das Loch hineinwerfen.

Bild 7. Testsituationen mit dem LEA-Rechtecken Test. A. Das Kind kann zeigen, welcher von den zwei Rechecken der längere ist. B. Man beobachtet die Entwernung zwischen den Fingern, wenn das Kind den Rechteck greift. Diese Testsituation ist den meisten Kindern leicht: gleichen Rechteck auf einen gleichen zu legen. C. Wenn das Kind nicht greifen kann, kann man den rein visuellen Teil so durchführen, dass das Kind mit der Blickrichtung zeigt, welcher von den Rechecken der richtige ist. Hier soll das Kind zeigen, welcher Rechteck auf den nächsten Rechteck gelegt werden soll.

Wenn die parietalen Sehfunktionen unverletzt sind und eine oder mehrere Sehfunktionen des ventralen Informationstroms fehlen, orientiert das Kind sich ohne Schwierigkeiten im Raum, greift Objekte mit guter Auge-Hand Koordination und gleichzeitig kann große Schwierigkeiten mit visuellen Aufgaben zeigen. Oft sagt man von solchem Kind "Er sieht, was er sehen will". Mit Willen hat das wenig zu tun; das Kind ist einer von den "sehenden Blinden", in einigen Aufgaben auf Blindenstrategien angewiesen, in anderen aber sehend.

Wahrnehmungsschwierigkeiten aufgrund einer posteriorischen Sehschädigung verursachen spezifische Änderungen im Verhalten des Kindes. Kennt man diese, so kann man schon früh eine vorläufige Diagnose stellen. Die häufigsten Symptome sind:

  • Variation der Sehfunktionen ist das häufigste Symptom
  • das Kind spricht lieber mit der Lehrerinen als spielt mit anderen Kindern
  • das Kind ist ungern an Plätzen, wo sich viele Menschen bewegen, speziell schwierig sind Badestrände und Schwimmhallen, wenn das Kind die Gesichter der Leute nicht wiedererkennt
  • das Kind beginnt erst spät zu zeichnen und malen, oder gar nicht
  • das Kind gebraucht Farben als Kennzeichen
  • es zeigt nur geringes Interesse am Fernsehen und an Zeichentrickserien
  • das Kind sieht nicht den Unterschied zwischen Schatten und Schwellen
  • das Kind lernt Buchstaben und kurze Wörter, hat aber Probleme mit langen Wörtern
  • das Kind kann sich ärgern, wenn Spielzeuge oder Kleider vom gewöhnlichen Platz anders wohin gestellt sind (= Schwierigkeiten mit Objekt/Hintergrund)
  • das Kind hat Schwierigkeiten in Ballspielen (= sieht nicht Objekte, die sich bewegen)
  • das Kind sieht ein Objekt und wendet die Augen oder den Kopf zur Seite, bevor es das Objekt zu greifen versucht.

Diese Kinder haben auch typische kompensatorische Funktionen

  • frühe Entwicklung der Sprache
  • sie gebrauchen auch das Gedächtnis als eine kompensatorische Funktion
  • und lernen Geschwister und Erwachsene um Hilfe zu bitten (was dann in der Schule nicht mehr erlaubt ist)

Ein Kind kann nur ein einziges dieser Symptome oder mehrere Symptome haben. Auf der CD "LH Materials for Teaching" gibt es mehrere Beispiele von posteriorischen Sehschädigungen in Verbindung mit und ohne anteriorische Sehbehinderung. Bei den höheren visuellen Funktionen gibt es etwa dreißig spezifische Teilfunktionen, die unabhängig von einander geschädigt sein können. Die wichtigsten von diesen sind die Gesichtererkenung, das Erkennen von Gesichtausdrücken und von geometrischen Formen, die Farbwahrnehmung, Wahrnehmung der Bewegung, der Geschwindigkeit, der Flächentexturen, der räumlichen Beziehungen der Objekten, und Figur-Hintergrundwahrnehmung, Orientierung im ego- und allozentrischem Raum und die Auge-Hand Koordination.

Diese Liste der typischen Symptome gilt sowohl im Kleinkind- als auch im Schulalter. Mehrere kognitive Sehschädigungen sind erst im Vorschul- oder Schulalter zu diagnostizieren, wenn die Anforderungen an allen Funktionsgebieten größer werden. Die kognitiven Sehschädigungen haben in allen westlichen Ländern zugenommen. Darum ist es notwendig, dass wir unsere diagnostischen Methoden weiterentwickeln. Insbesondere sollten alle Kinder mit intellektuellen oder motorischen Behinderungen früh und dann regelmäßig untersucht werden. Auch alle sehr klein geborenen frühgeborenen Kinder sollte man gründlich auf alle kognitiven Seh- und Hörschädigungen untersuchen. Das Kind kann sehr geringe motorische Behinderungen zeigen, oder gar keine, und manchmal hat das Kind nur eine einzige, isolierte kognitive Sehbeeinträchtigung.

Schulkinder

In den meisten Ländern werden sehbehinderte Kinder in den Regelschulen integriert. Falls keine sehgeschädigtenspezifische Beratung und Unterstützung stattfindet, haben die dortigen Lehrer/innen nur sehr geringe Kenntnisse über die spezielle Gestaltung des Unterrichts für sehbehinderte Kinder und deren individuelle Bedürfnisse. Alle Informationen, die man bis zum Schuleintritt gesammelt hat, sollte man dem Lehrer/der Lehrerin ausführlich beschreiben und erläutern. Es ist vor allem wichtig, dass der Lehrer / die Lehrerin genügend Information über die Art der Schädigung und damit verbundene mögliche Besonderheiten erhält, so dass die Situation des Kindes verständlich wird. Oft ist es ein Vorteil, wenn die Untersuchung des funktionalen Sehvermögens wenigstens teilweise in der Schule gemacht wird. Dadurch sieht der Lehrer / die Lehrerin selbst, wie das Kind die verschiedenen Aufgaben löst, und kann direkt fragen, wenn er oder sie Beobachtungen macht, die auf ihn oder sie merkwürdig oder widersprüchlich wirken. Nach einem solchen Erlebnis hat der Lehrer / die Lehrerin oft die Motivation, die funktionellen Tests später selbst zu wiederholen und sogar Videoaufnahmen zu machen, um eventuelle Veränderungen beobachten und verfolgen zu können.

Eine funktionelle Untersuchung basiert auf den medizinischen Informationen, die vom Augenarzt zusammengefasst werden sollten. Hat das Kind auch neurologische Schädigungen, so ist eine ausführliche Beschreibung von dem Neurologen wichtig. Die drei funktionell verschiedenen Gebiete, die vorderen und die hinteren Sehbahnen, die primäre visuelle Gehirnrinde und die visuellen assoziativen Funktionen sollten so klar wie möglich beschrieben werden.

In den Gutachten der Augenkliniken und der niedergelassenen Augenärzte werden die Befunde der Augenmotorik und die Resultate der sensorischen Tests beschrieben. Die wichtigsten Tests für die funktionelle Untersuchung sind:

  • der Fernvisus mit einzelnen Optotypen und mit einem Reihentest
  • der Nahvisus mit einzelnen Optotypen, mit dem Reihentest und mit dicht gruppierten Symbolen
  • Kontrastempfindlichkeit
  • Farbensehen mit einem quantitativen Test, wie LEA-16
  • Gesichtsfeld mit Konfrontationstest, Goldmann Perimetrie und als Lesegesichtsfeld (wie viele Buchstaben werden gleichzeitig klar gesehen, Vorliegen von Distorsionen (Verzerrungen) im Text und Skotomen, die Sakkaden stören usw. ), evtl. Nef-Trichter
  • visuelle Adaptationszeit.

Diese Tests kann man außer dem Goldman-Gesichtsfeldtest in der Schule durchführen und dadurch die Variationen in den Ergebnissen herausfinden und vergleichen. Dabei ist es wichtig die Refraktion der Augen des Kindes und die Werte der Brillengläser zu kennen. Wichtig ist auch zu wissen über optische Sehhilfen, die das Kind schon hat und deren Benutzung in der Zukunft geübt werden soll.

Bild.8. Ein 8-jähriges Mädchen hat keine Schwierigkeiten, die Puzzelformen auf der farbigen Seite in die richtige Einschnitten zu stellen (A), auf der schwarz-weissen Seite sind dieselben Puzzelformen aber rätzelhaft (B); das Mädchen versucht sie planlos zu legen und endlich erledigt die Aufgabe taktil (C). Die Person, die mit dem Kinde spielt, ist die Neuropsychologin des Kindes. Diagnostische Spielsituationen gelingen oft am besten, wenn das Kind mit einer bekannten Person spielt (Erzieher/in, Lehrer/in, Therapeut/in. (CD "LH Materials for Teaching" 2000)

Die spielerische Testsituation beginnt man mit dem LEA Puzzel (Bild 8) auch bei der Untersuchung älterer Kinder, bei denen die von spezifischen cortikalen Läsionen verursachten Funktionsausfälle deutlicher zu sehen sind als bei kleinen Kindern (Hyvärinen 2000). Z. B. kann ein Kind die Puzzleformen auf der farbigen Seite ohne Schwierigkeiten zuordnen, versteht auf der schwarz-weißen Seite aber gar nicht was man machen soll (= die Formwahrnehmung fehlt, die Fähigkeit Grundfarben zu vergleichen ist festgestellt worden). Bei anderen Kindern kann die unbeholfene Handhabung der Puzzleformen auf motorische Probleme oder unzureichende räumliche Begriffe hinweisen.

Was soll der Klassenlehrer über die Sehfunktionen des Kindes wissen?

  1. Hat das Kind eine anteriorische oder posteriorische Sehschädigung oder beides?
  2. Motorische Funktionen:
    • Fixation, ist sie zentral/exzentrisch, stabil oder flüchtig? Liegt ein Nystagmus mit oder ohne eine Nullposition vor?
    • Sind die Sakkadenbewegungen exakt? Gebraucht das Kind kompensatorische Kopfbewegungen?
    • Wie exakt sind die Folgebewegungen? Kompensatorische Kopfbewegungen?
    • Gibt es unwillkürliche Augenbewegungen während Spasmen oder epileptischer Anfälle?
  3. Sensorische Funktionen:
    • Sehschärfe, Fern- und Nahvisus, die kleinste gelesene und die optimale Textgröße
    • Kontrastempfindlichkeit
    • Farbensehen, Konfusionsgebiete; welche Farben und Farbkombinationen soll man vermeiden?
    • Gesichtsfeld für die Orientierung und für das Lesen
    • Visuelle Adaptation; hat das Kind Schwierigkeiten in der Dämmerung oder bei Sonnenschein?
    • Wiedererkennen; kennt das Kind Leute am Gesicht? Wenn nicht, welche kompensatorische Techniken kann man benutzen?
    • Gesichtsausdrücke; erkennt das Kind Gesichtsausdrücke?
    • Bewegungssehen
    • Kann das Kind Größen und Längen visuell wahrnehmen oder benutzt es haptische Informationen?
    • Linienrichtung; kann das Kind Linienrichtungen visuell wahrnehmen?
    • Einzelheiten; kann das Kind sie in bunten Bildern sehen/finden?
    • Puzzles; kann das Kind altersgemäß mit ihnen spielen?
    • Auge-Hand-Koordination; ist sie normal oder gibt es Probleme?
  4. Das Sehvermögen für den Bereich Orientierung und Mobilität; sind Modifikationen für den Sportunterricht notwendig?
  5. Wie ist das Sehen bei Aufgaben, die ein länger andauerndes Sehen in der Nähe erfordern; welche Sehhilfen hat das Kind? Wie ist die Motivation diese zu benutzen? Welche neuen Sehhilfen werden während des Schuljahres aktuell?
  6. Beleuchtung; welche Spezialbedürfnisse hat das Kind in der Klasse und in den Gängen/Fluren.
  7. Soll die Schule spezielle Hilfsmittel kaufen?
  8. Hat das Kind ein normales, symmetrisches Gehör?
  9. Hat das Kind irgendwelche andere Behinderungen oder Krankheiten?
  10. Kennt man die Prognose der Sehbehinderung und weiterer Behinderungen?

Diese Informationen sind so mannigfaltig, dass sie mehrmals diskutiert werden müssen, bevor der Klassenlehrer/die Klassenlehrerin sie berücksichtigen und verstehen kann. Die Integration eines sehbehinderten Kindes ist keine einfache Tätigkeit, sondern fordert sehr viel von der Schule und auch von den Eltern. Um die Sehleistungen des Kindes wirklich zu verstehen, braucht die Schule mehrere funktionelle Untersuchungen je nach den Bedürfnissen des Kindes. Da die Tests einfache Spielsituationen sind, können sie von allen Beteiligten durchgeführt werden (= transdisziplinäres Verfahren). Schwieriger als die Durchführung der Tests ist die Interpretation der Resultate. Hierbei helfen Videoaufnahmen, die vom Low-Vision-Team analysiert werden können. Wenn die Schule einen Psychologen hat, kann man seine Fachwissen nutzen. Die psychologischen Testsituationen muss man der Sehschädigung des Kindes entsprechend modifizieren. Wenn die Resultate in der Schule von jenen in der Klinik oder beim Augenarzt abweichen, soll man sie mit dem Low-Vision-Team analysieren.

Eine Zusammenfassung der Sehleistungen eines Kindes kann man wie in der Tabelle 1. vorstellen. Diese beschreibt die Situation eines 13-jährigen Jungen mit einer Retinitis pigmentosa.

Table 1. Eine Tabelle verdeutlicht die Variationen in der Sehleistung eines Kindes oftmals besser als man dies mit reinen Worten beschreiben kann. Man sieht gleich, dass das Kind unterschiedliche Bedürfnisse hat, die in diesem Fall von der Beleuchtung abhängig sind. Natürlich vermeidet das Kind Situationen, die Blindentechniken erfordern, aber diese muss es auch lernen. Sie sollen darum auch Bestandteil des individuellen Förderplans sein. (Hyvärinen L: Classification of Pediatric Low Vision, [http://low-vision.fb13.uni-dortmund.de unter "Definitionen & Begrifflichkeiten"], modifiziert).

Das Sehvermögen eines sehgeschädigten Kindes bleibt oft stabil. Es kann während der Schuljahre etwas besser werden, wenn es sich nicht um eine progressive Schädigung handelt. Die Vermittlung kompensatorischer Techniken sollte ein wichtiger Teil des individuellen Förderplans sein. Um die Entwicklung zu verfolgen, kann man die verschiedenen Funktionen regelmäßig beobachten und wie in der Tabelle 2. dokumentieren. Die Tabelle 2. braucht man oft an die spezifische Situation des Kindes anpassen, insbesondere dann, wenn neben der Sehschädigung noch weitere Schädigungen hinzukommen.

Zwar könnte man allgemein sagen, dass bei stationären Schädigungen auch deren funktionelle Auswirkungen gleich bleiben. Dennoch sollte man die Auswirkungen der Sehschädigung nicht als geringer einschränkend einschätzen, wenn das Kind durch Erfahrung und das Erlernen besserer kompensatorischer Techniken die verschiedenen Situationen besser beherrscht. Bei progredienten Schädigungen sollte man die Auswirkungen jedes Mal genau überprüfen. Ein Fragebogen wie in Tabelle 2 macht den Lehrer/ die Lehrerin auf die kommunikativen, sozialen und lebenspraktischen Bereiche aufmerksam, was sehr wichtig ist, denn sie werden in der Regelschule oft nicht genug berücksichtigt.

Die Sehbehinderungen sind nicht ebenso auffällig wie z.Bl. die motorischen Behinderungen. Darum muss man viel mehr Zeit erlauben, mehrere Beobactungssituationen benutzen und als ein Team arbeiten, um die funktionalen Voraussetzungen richtig zu verstehen. Wenn wir die Frage "Wie viel Sehen hat dies Kind für diese Aufgabe" stellen und sie in allen Funktionsgebieten fragen, bilden wir almählich einen festen Baugrund für die Entwicklung einer guten individuellen Lehrplan.

Referenzen:
Hyvärinen L (1998) Homepage
Hyvärinen L (1998) Homepage http://www.lea-test.fi
Hyvärinen L (2000) LH Materials for Teaching, CD, Lea-Test, Helsinki

Fragebogen: Wie beeinflusst die Sehbehinderung verschiedene Aktivitäten? (PDF-File)