Visuelle Informationen unterliegen verschiedenen neuronalen Prozessen, bevor sie als Bild wahrgenommen werden. Wenn sich das Sehen verändert, können die Veränderungen entweder in der Qualität des Bildes, entsprechend Störungen der Augen vorkommen und/oder der visuellen Bahnen oder die Bildwahrnehmung ist auf Grund des Verlustes einiger spezifischen analytischen Funktionen im visuellen Cortex gestört. Unter den sehbehinderten Kindern steigt die Zahl der mit Gehirnschädigungen verbundenen Sehbehinderungen in allen Ländern. Viele Kinder haben Störungen in beiden, den vorderen visuellen Bahnen, vor dem lateralen Kniehöcker und den hinteren visuellen Bahnen und den kortikalen und subkortikalen visuellen Funktionen. Dieser kurze Überblick über die visuellen Bahnen ist eine Einführung für die Benutzung der kognitiven Teste.
Visuelle Bahnen vom Auge zum Gehirn haben verschiedene Wege mit unterschiedlichen Funktionen. Die größte Anzahl Nervenfasern im Sehnerven, ungefähr 80%, gehören zu den parvozellularen Bahnen die alle Farbinformationen und hoch kontrastierte schwarz und weiß Informationen übermitteln. Etwa 10 Prozent der Fasern bilden die magnozellularen Bahnen die alle bewegte Informationen und gering kontrastierten schwarz und weiß Informationen übermitteln. Es gibt weitere Neuronen, die Informationen zu den verschiedenen subkortikalen Strukturen übermitteln, die jedoch nicht direkt in die visuelle Wahrnehmung einbezogen sind. Die visuellen Informationen, die im Scheitellappen genutzt werden unterscheiden sich von denen, die im Schläfenlappen genutzt werden. Ein Aspekt ist einfach zu demonstrieren: man bewege seine Hand schnell vor seinen Augen – man sieht die Bewegung eines Objektes, welches vage als eigene Hand wahrgenommen werden kann, man hat keine Details gesehen und hat keine visuelle Erinnerung an das gerade beobachtete Phänomen. Die typischen Eigenschaften visueller Informationen, die im Scheitellappen genutzt werden sind die Wahrnehmung von bewegten Objekten ganz kürzlich, so dass die zahlreichen individuellen Bilder die Funktion nicht blockieren. Visuelle Funktionen zur Orientierung im egozentrischen Raum und Auge-Hand-Koordination benötigen meist visuelle Informationen in der Bewegung, reale oder relative, d.h. der Beobachter selbst, die Augen oder der Kopf werden bewegt, wenn man ein nicht bewegtes Objekt beobachtet. Während normaler Funktionen werden visuelle Informationen im Scheitellappen synchron mit den Informationen im Schläfenlappen aufbereitet. Wenn die Funktionen des ventralen Stromes inklusive der Formwahrnehmung gestört sind und die Funktionen des dorsalen Stromes intakt bleiben, wird das Kind/die Person nicht gegen Objekte stoßen, die Orientierung im Raum kann gut sein, das Ergreifen von Objekten basiert klar auf visuellen Hinweisen und doch wird das Kind oder die Person nicht lernen, visuelle Formen wahrzunehmen. Die Person ist sehend im Bereich einiger Funktionen, blind bei anderen, eine „sehende blinde Person“. Da parallele Bahnen (die retinocalcerinen und die tectalen Bahnen) zum dorsalen Strom, aber nur eine Bahn (die retinocalcerine Bahn) zum ventralen Strom führt, ist es möglich, dass visuelle Funktionen im ventralen Strom ausgelöscht sind, obwohl die im dorsalen Strom normal verbleiben oder weit weniger beeinträchtigt sind. Kortikale Schädigungen nach Infektionen können zusammengesetzt sein, manchmal auch nur eine kognitive visuelle Funktion, wie die Wahrnehmung von Gesichtsausdrücken beeinflussen. Ebenso können subkortikale Schädigungen manchmal nur eine Funktion beeinflussen. Akkommodation ist eine der Funktionen, die beeinflusst sein kann, ohne Veränderungen in der Konvergenz oder Miosis, auch wenn alle drei Funktionen sehr eng im Edinger-Westphal-Kern verbunden sind. Wenn die Schädigung der Nervenfasern in den Sehbahnen zwischen dem lateralen Kniehöcker und dem primären visuellen Kortex zusammengesetzt ist und nur einen Teil der Makulafasern involviert, kann die Sehschärfe und Kontrastempfindlichkeit normal sein, wenn sie mit Einzeloptotypentesten ermittelt wurde. Wenn die Sehschärfe jedoch mit Reihentesten mit den gleichen Symbolen gemessen wird, kann diese mehrere Reihen geringer sein als der Wert der Einzeloptotypen. Dieses Phänomen wird „ansteigendes Crowding Phänomen“ genannt und tritt in beiden Augen des Kindes oder Erwachsenen auf und nicht nur in einem Auge, wie bei der gewöhnlichen Amblyopie.
![]() Bild 2: Vereinfachtes Diagramm der Sehbahnen von V1 zu den höheren visuellen Funktionen. Im primären visuellen Kortex und den spezifischen Zellgruppen, welche die Informationen weiterleiten, werden die verschiedenen Strukturen des Bildes, wie Farbe, Linienrichtung und Bewegung voneinander getrennt (Bild 2). Im Bereich der höheren Funktionen weren sie zusammengebracht und auf diese Weise sehen wir die Farben in einem Objekt und nicht neben seiner Form. Die Wiederherstellung des Sehens nach einer langen Zeit der Blindheit durch Operation kann zu sonderbaren Wahrnehmungsphänomenen führen, wie das Sehen der Farben über dem Objekt.
![]() Dieses Bild stammt aus dem Film „Lernen zu sehen“ (Referenz 124 im CV). Professor Scholler beschreibt sein Sehen nach einer Ondotokeratoprothesis (Platzierung einer klaren Kunststofflinse in die Hornhaut): „Während der ersten Wochen (nach der Operation) sah ich die Farben separat vom Objekt selbst, über es schwimmend.“ Wenn Zellgruppen die für spezielle Prozesse verantwortlich sind, geschädigt sind, können sie nicht durch andere Zellgruppen ersetzt werden. Daher ist es wichtig, alle kognitiven visuellen Funktionen zu beurteilen, vom Sehen der Orientierung von Linien und der Größe von Objekten zu verschiedenen Erkennungsfunktionen und noch stärker komplexen Wahrnehmungsaufgaben. Wenn ein Kind die Fähigkeit der Erkennung von Gesichtszügen verloren hat, kann es nur falsch verstanden werden, wenn es Personen nicht grüßt, die es bereits gut kennt. Ebenso kann angenommen werden, dass Kinder, die keine Gesichtszüge erkennen können als autistische eingestuft werden, wenn sie in einer Krabbelgruppe deren Kommunikation mittels Körpersprache passiert, nicht funktionieren. Diese Kinder benötigen eine Person, die Ihnen erklärt, was in der Gruppe passiert. Die Spielsituation sollte gut strukturiert und nicht laut sein. Diese Kinder sind in der Situation der Kommunikation blind und sollten als solche behandelt werden. Die Formwahrnehmung kann verloren sein, aber Formen können wahrgenommen werden und durch taktile und haptische Erforschung erlernt werden. Das Kind kann in der Lage sein, Objekte mit der normalen Auge-Hand-Koordination zu ergreifen (Funktion des dorsalen Stroms) und doch kann es sein, dass es nicht lernt, visuell die Größen von diesen Objekten vergleichen zu können (Funktion des ventralen Stroms). Oft wird diesen Kindern fälschlicherweise vorgeworfen „sie sehen, wenn sie sehen wollen“, aber das ist ist rechtmäßig – es fehlt eine der spezifischen Funktionen der visuellen Wahrnehmung. Die Teste des kognitiven Sehens wurden entworfen zur frühen Diagnose von einigen gewöhnlichen kognitiven Problemen. Sie können als Spielzeug im Kindergarten und zu Hause verwendet werden, um die frühe Beurteilung und frühe Intervention von Kindern mit Sehbehinderungen zu unterstützen. Faktoren, die die Testsituation beeinflussenWenn man eine bestimmte visuelle Funktion beobachtet und beurteilt, muss der Tester sich darüber bewusst sein, dass andere Funktionen nicht normal sein können und dass kann sich mit der kindlichen Performance bei den Aufgaben überlagern. In einigen Testsituationen ist die erwartete Reaktion eine motorische Reaktion, eine Folgebewegung oder eine schnelle Sakkade. Solch eine motorische Reaktion durchzuführen, hängt von mehreren Voraussetzungen ab:
Diese Voraussetzungen sind besonders wichtig bei allen Preferential-Looking Situationen. Die Größe und Qualität des Gesichtsfeldes muss bekannt sein. Sonst könnte man eine schwache Reaktion als Ergebnis geringer Aufmerksamkeit werten. Aufmerksamkeit und Motivation um auf einen Stimulus zu schauen, kann sogar innerhalb des Gesichtsfeldes variieren: Objekte mit hohem Kontrast, klaren Farben oder glänzenden Oberflächen verursachen oft eine stärkere Reaktion als einige weniger sichtbare Objekte. Jedoch scheinen große gering kontrastierte Bilder in Bewegung Säuglinge und Kleinkinder oft zu interessieren. Die Art der Fixation muss bekannt sein. Wenn ein Kind exzentrisch fixiert, scheint es dem Stimulus vorbei zu sehen, wenn es auf es schaut. Einige Kinder haben wandernde Augenbewegungen, können ihre Fixation nicht stoppen. Es kann notwendig sein, Videofilme zu nutzen, um genauere Beobachtungen darüber anzustellen, worauf das Kind geschaut hat. Wenn ein Kind Strabismus (Schielen) hat, kann es schwierig sein festzustellen, welches Auge zur Fixation genutzt wird. In diesem Fall kann kurzzeitiges Abdecken eines Auges das Problem lösen. Wenn die Augenbewegungen ungleichmäßig sind, ist es ratsam, diese Effekte auf die Testsituation mit dem Augenarzt des Kindes zu besprechen. Da der kindliche Fixation sich über die Zeit ändern kann, sollte er in jedem Bericht beschrieben werden und wenn möglich mit Video aufgezeichnet werden. Visuelle SphäreAlle Untersuchungen und Spielsituationen müssen innerhalb der visuellen Sphäre des Kindes durchgeführt werden. Obwohl das selbstverständlich ist, wird dem oftmals bei der Beurteilung des Sehens nicht berücksichtigt. Messungen sollten nicht nahe der äußeren Grenze der visuellen Sphäre sondern gut innerhalb deren. Wenn der Bereich groß genug ist, können sie in verschiedenen Entfernungen zum Kind durchgeführt werden. Wenn die visuelle Sphäre des Kindes zuvor nicht bestimmt wurde, kann er als eines der ersten Dinge am Beginn der Untersuchung bestimmt werden. Das Gesicht des Testers ist ein guter Stimulus. Andere einfach verfügbare Stimuli sind farbige Spielzeuge. HIDING HEIDI Bilder messen die visuelle Sphäre für die Kommunikation, geben aber auch Rückschlüsse auf die visuelle Sphäre für die Beobachtung der Umgebung. GesichtsfeldWenn das Gesichtsfeld des Kindes bisher nicht gemessen wurde, kann er mit der Konfrontationstechnik grob abgeschätzt werden. Dies deckt nicht die Struktur des Gesichtsfeldes im Detail auf. Es kann Skotome geben, relative Ausfälle innerhalb des Gesichtsfeldes. Kleine Skotome im zentralen Gesichtsfeld können das Lesen stören, besonders wenn das Kind Lesen lernt. Wenn das Skotom so klein ist, dass nur ein oder zwei Buchstaben in es hineinfallen, ist sich das Kind darüber nicht bewusst. Es wird „aufgefüllt“ durch die visuellen Informationen der umgebenden Gebiete. Ältere Kinder können die Krümmung der Linien zueinander auf dem Amsler Test bemerken, jedoch kann dies nicht bemerkt werden, wenn man die Umgebung betrachtet. Alle Teste müssen innerhalb des Gesichtsfeldes des Kindes präsentiert werden. Teste, wie Gittersehschärfeteste oder LEA GRATINGS oder Hiding Heidi Karten können bei Hemianopsie, dem Verlust einer Hälfte des Gesichtsfeldes vertikal präsentiert werden, oder im oberen Teil des Gesichtsfeldes wenn der untere Teil des Gesichtsfeldes nicht funktioniert. Visuelle AufmerksamkeitAufmerksamkeitsdefizite können auf eine Hälfte des Gesichtsfeldes beschränkt sein, oftmals bei Hemiplegie. Bei einem Säugling kann das wie Hemianopsie aussehen. Wenn der Säugling jedoch regelmäßig auf der funktionell blinden Seite stimuliert wird, können sich einige visuelle Funktionen ergeben und im Alter von zwei Jahren können keine messbaren Unterschiede in der Funktion der beiden Gesichtsfeldhälften mehr vorhanden sein. In diesem Fall war das niemals Hemianopsie sondern geringe Aufmerksamkeit bezüglich der visuellen Informationen.
Folgebewegungen und SakkadenWenn Folgebewegungen oder Sakkaden als Reaktion erwartet werden, muss deren Qualität anfänglich geprüft werden. Als Stimulus kann man große Spielzeuge, wie Lilly&Gogo Puppen oder vom Kind bevorzugte Spielsachen benutzen. Wenn sich die Augenbewegungen noch nicht von den Kopfbewegungen gänzlich gelöst haben, werden Kopfbewegungen als Folgebewegungen und Sakkaden akzeptiert. Sakkaden können in einer Spielsituation beobachtet werden: Der Tester lockt das Kind, auf sein Gesicht zu schauen. Wenn das Kind das Gesicht des Testers fixiert, wird ein interessanter Stimulus, wie die Lilly Fingerpuppe neben dem Gesicht des Testers präsentiert. Wenn das Kind die Fixation auf die Puppe lenkt, wird diese dem Kind einige Zeit gezeigt. Dann wird die Aufmerksamkeit des Kindes wieder auf das Gesicht des Testers gelenkt und wenn das Kind auf den Tester schaut, wird die Gogo Fingerpuppe auf der anderen Seite des Gesichtes präsentiert. Wenn es Unterschiede bei den Sakkaden nach rechts und links gibt, wird dies mit dem Augenarzt des Kindes besprochen. Es sollte beachtet werden, dass die großen Sakkaden in Spielsituationen sich von den kleinen Sakkaden beim Lesen unterscheiden. Beim Lesen ereignet sich die Planung und Ausführung der Sakkaden zur gleichen Zeit, in der das Kind/die Person seine sensorischen Funktionen benutzt, und beides, das zu lesende Wort und gleichzeitig der Ort des nächsten Wortes, worauf die Sakkade landen soll, sollen wahrgenommen werden. Beleuchtung und PositionDie kindlichen Bedürfnisse in Bezug auf Beleuchtung und Position müssen während des Testens berücksichtigt werden. Das Testen wird normalerweise in einer optimalen Position begonnen. Später werden weitere Beobachtungen in allen Positionen, die das Kind während des Tages einnimmt, gemacht. VideoaufzeichnungenWährend einer intensiven Spielsituation ist es nicht möglich, gleichzeitig die Reaktionen des Kindes gut zu beobachten. Eine andere Person kann daher als Beobachter dienen oder die Spielsituation wird auf Video aufgezeichnet um später von dem Rehabilitationsteam/ dem Frühförderteam und dem Neurologen des Kindes analysiert zu werden. Wenn ein Säugling oder Kind getestet wird, welches sich nicht bewegt, kann die Aufnahme durch den Tester erfolgen, indem er die Videokamera auf ein Stativ stellt. Wenn die Kamera an einen Fernseher hinter dem Kind angeschlossen werden kann, kann der Tester überprüfen, ob das Kind im Bildfeld der Kamera bleibt und nicht außerhalb des Bildes. Augenbewegungen während des Lesens können mit Geräten zur Messung der Augenbewegungen (eye tracker) aufgezeichnet werden, wenn das Kind eine ausreichende Kopfkontrolle und Fixation hat, so dass das Gerät genau kalibriert werden kann. Kinder, die eine geringe Kopfkontrolle und große Probleme mit Augenbewegungen und Crowding haben, werden am besten durch Aufzeichnungen mit einer Videokamera, unter Benutzung transparenter Texten, untersucht.
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