Refraktion und Sehhilfen

Um die Probleme, die in Verbindung mit der Optik des Auges stehen zu verstehen, müssen die grundlegenden Fakten über die Struktur des Auges als optisches System, die Funktion von Brillenlinsen und Linsensystemen und der Gebrauch von Low Vision Hilfsmitteln (vergrößernden Sehhilfen) bekannt sein. Einige grundlegende Tatsachen werden in „Auge und Sehen“ erläutert. Es gibt dort auch eine genaue Erläuterung von optischen und nichtoptischen Hilfsmitteln in der Sonderpädagogik von Heather Mason et al (1998, ISBN 1-85346-412-0). Es wäre zudem von Vorteil, ein spezielles Handbuch zur Low Vision Optometrie für Therapeuten und Lehrer zu haben.

Es ist unentbehrlich, dass die Therapeuten und Lehrer den Refraktionsfehler des Kindes kennen und inwieweit dieser mit den verschiedenen Brillen korrigiert wird, in welcher Entfernung die Gläser das beste Bild entwerfen, in welcher Entfernung die maximale Vergrößerung erreicht werden kann und wie gut das Kind die Hilfsmittel nutzen kann.

Wenn ein Lehrer eines sehbehinderten Kindes in integrativer Sonderpädagogik in einem „gewöhnlichen Klassenraum“ keinen Grundkurs in Refraktion und vergrößernden Sehhilfen hat, können die Informationen aus „Auge und Sehen“ eine Einführung geben. Ein Optometrist (in manchen Ländern wird der Begriff Augenoptiker benutzt) vor Ort kann den Aufbau der Hilfsmittel erklären und erläutern, wie das Kind sie am besten nutzen kann. „Auge und Sehen“ kann auch dazu genutzt werden, dem Kind etwas über das Sehen und Sehbehinderungen zu vermitteln, so dass ihre/seine Beeinträchtigung und Behinderung besser verstanden wird und so dem Kind hilft, damit zu leben.

Es lohnt sich, mit dem Kind jedes neue optische und nichtoptische Hilfsmittel (besonders neue Brillen) auszuprobieren, um zu wissen, was im Klassenraum und im Sport zu erwarten ist. Das Kind kann etwas über Refraktion und Brillen lernen, wenn es ihre/seine Hilfsmittel untersucht. Ein wichtiger Begriff ist die Brennweite. Die Brennweite einer Linse ist 1 Meter (=100 cm) geteilt durch den Brechwert dieser Linse. Wenn ein Plusglas, z.B. ein übliches Low Vision Leseglas mit +6,00 dpt vor ein emmetropes Auge (= kein Refraktionsfehler) gehalten wird, ist das Bild in 17 cm, der Brennweite dieses Glases (100 cm geteilt durch 6 = 17 cm), am deutlichsten und, wenn das Kind akkommodieren kann, ebenso noch näher deutlich. Wenn das Kind und der Lehrer den Arbeitsabstand des Hilfsmittels kennen, kann der Lehrer das Kind darin unterstützen, die Texte und anderen Materialien in der korrekten Entfernung zu halten, damit das Kind die bestmögliche Abbildung erhält.

Die Optik der „einfachen“ Lupen ist nicht einfach, weil die verschiedenen Lupen die Lupenbilder in verschiedenen Entfernungen von der Lupe sichtbar machen. Ziemlich oft muss das Kind zwischen der Benutzung einer Lupenbrille mit verstärkter Addition und einer starken Lupe wechseln, oder um an die Tafel zu sehen. Der Low Vision Augenoptiker (wo vorhanden) versucht eine brauchbare Lösung zu finden, jedoch sind Beobachtungen im Klassenraum und zu Hause notwendig, um sicher herauszufinden, wie nützlich die Hilfsmittel sind.

Die ergonomischen Bedürfnisse der sehbehinderten Kinder unterscheiden sich von denen normal sehender Kinder wegen des Gebrauchs von Lupenbrillen mit verstärkten Additionen, Lupen, Fernrohren und zunehmend, elektronisch vergrößernden Sehhilfen in Kombination mit dem Gebrauch von Computern. Das Lehren optimaler Ergonomien basiert auf dem genauen Verständnis der Einschränkungen und Kräfte des kindlichen Sehens und auf dem Wissen über die Struktur und Funktion der visuellen und nicht visuellen Hilfsmittel. Ergonomie sollte ein in die Low Vision Schulung integrierter Teil sein, so dass die Kinder ihre Schule mit den besten Zensuren/Abschlüssen und ohne Probleme mit der Haltung abschließen können.

In Entwicklungsländern kann es notwendig sein, wenn keine optometrischen Dienstleistungen vorhanden sind, dass der Lehrer oder Therapeut Refraktionsfehler beurteilt. Für die Bestimmung des Brechwertes des Auges (Refraktionsdefizit) kann man mit einigen Brillengläsern, einem Maßstab, einer Nahsehzeichenprobe/ Nahsehtestkarte und einem Stück Papier schon viel erreichen. Kästen mit einigen Gläsern, Lupen und Fernrohren, lokal hergestellt, sind in vielen Entwicklungsländern erhältlich.

Die Messung beruht auf der Nutzung starker Plusgläser, um die Person kurzzeitig myop (kurzsichtig) zu machen, so dass die Entfernung, in der ein Bild klar gesehen wird, gemessen werden kann. Wenn ein starkes Plusglas. z.B. +6,00 dpt vor ein Auge gehalten wird, ist, bei einem beispielsweise vorliegende Refraktionsfehler von +1,00  dpt das Bild in 20 cm Entfernung scharf. Diese 20 cm Entfernung entspricht der Brennweite eines +5,00 dpt Glases, daher muss dass Auge selbst eine Fehlsichtigkeit von +1,0 dpt haben.

Wenn das Kind stark hyperop (weitsichtig) ist, wird das +6,00 dpt Glas nur die Weitsichtigkeit korrigieren und die Person nicht myop machen. In diesem Fall und wenn nötig, wird ein drittes Plusglas hinzugenommen, um ein scharfes Bild in der Nähe zu erzeugen. Einige Kinder wurden wegen einer Katarakt operiert und haben keine Brillen oder diese gingen schon einige Jahre zuvor kaputt oder verloren. Diese Kinder benötigen stärkere als +20,00 dpt Gläser. – Einige aphake Kinder (Aphakie = Linsenlosigkeit nach Kataraktoperation) könnten ein Loch in der sekundären Katarakt haben, das wie eine Lochblende funktioniert und eine ziemlich gute Bildqualität in allen Entfernungen ohne Korrektionsgläser liefert (was eine überraschende Beobachtung selbst für erfahrene Refraktionisten ist).

Wenn ein +6,00 dpt Glas zur Abschätzung der Refraktion eines myopen Auges verwendet wird, kann das Bild in 10-12 cm Entfernung scharf sein, was dann einem -10,00 dpt bis -8,50 dpt Glas entspricht. Das Auge selbst ist im Bereich von -2,50 dpt bis -4,00 dpt myop. Ohne +6,00 dpt Glas kann die Größe der Myopie berechnet werden, indem man 100 cm durch die Entfernung des am weitesten gelegenen klaren Bildes teilt.