Okulomotorische FunktionenDas Sehen wird oft als eine rein sensorische Funktion verstanden. Der normale Gebrauch des Sehens benötigt jedoch exakte Augenbewegungen. Besonders wenn wir das Lesen erlernen, benötigen wir die Fähigkeit kleine, akkurate schnelle Augenbewegungen (Sakkaden) zu planen und auszuführen, um unseren Blick von einem zum nächsten Wort zu lenken. Deshalb werden die motorischen Funktionen gewöhnlich am Beginn der funktionellen Einschätzung beurteilt. Zuerst werden langsame Folgebewegungen beobachtet, d.h. man bewegt ein Objekt langsam vor den Augen entlang und beobachtet ob das Kind seine Augen ruhig bewegt, um den Zielobjekt horizontal, vertikal, diagonal und kreisförmig zu folgen oder ob das Kind kompensatorische Kopfbewegungen benutzt. Die Bewegungen können auch unreegelmässig sein. Als nächstes beobachtet man die Sprungbewegungen (Sakkaden), die schnellen Bewegungen von einer Fixation zur nächsten. Man hält zwei kleine Objekte in Augenhöhe des Kindes auf beiden Seiten der Mittellinie. Man bittet das Kind auf die Nase des Testers zu schauen, dann auf eines der beiden Objekte, zurück zur Nase und dann zu dem anderen Objekt, wiederholt dies einige Male lang und beobachtet, ob die schnellen Bewegungen akkurat sind. Als nächstes bittet man das Kind den Blick von Objekt 1 zu Objekt 2 in einem schnellen Bogen von Seite zu Seite und zurück zu bewegen. Man beobachtet, ob die Bewegung unmittelbar, schnell und akkurat ist oder ob es Schwierigkeiten beim Kreuzen der Mittellinie gibt. Einige Kinder zeigen einen kleinen Ruck in der Bewegung über die Mittellinie und einige andere Kinder schließen die Augen, um die Mittellinie zu kreuzen. Wenn ein Kind besondere Schwierigkeiten hat die Augen in der Mittellinie zu benutzen, sollte von ihm nicht erwartet werden, dass es Lesematerialien in der Mittellinie hält. Die Sakkaden die während des Lesens ausgeführt werden sind klein und müssen genau sein, um ein fließendes Lesen zu gewährleisten. Wenn man das Lesen eines Kindes untersucht, ist es wichtig zu bedenken, dass sich zahlreiche Funktionen gleichzeitig ereignen. Während das Kind ein Wort ansieht, um es zu lesen, „messen“ die präattentiven (vorher aufmerksamen) visuellen Funktionen die Entfernung zum nächsten Wort und senden die Information in das Zentrum, welches die Augenbewegungen plant. Als nächstes löst sich die Fixation von der gegenwärtigen Fixation, die schnelle Augenbewegung, Sakkade, wird vollzogen und die Fixation und Aufmerksamkeit kommt an dem nächsten Wort an, um daran hängen zu bleiben, um es zu Lesen. Während diese sensorischen und motorischen Lesemechanismen benutzt werden ist das Kurz- und Langzeitgedächtnis in den Leseprozess involviert, so wie mehrere höhere analytische Funktionen in Bezug auf den Inhalt des Textes. Probleme beim Lesen können durch periphere Sehfunktionen (d.h. schlechte Bildqualität oder Gesichtsfeldausfälle, einfache motorische Probleme bei den Augenbewegungen) und/oder durch Veränderungen in zahlreichen höheren, kognitiven Gehirnfunktionen die mit dem Lesen verknüpft sind, bedingt sein. Low Vision/Sehbehinderung verursacht typische motorische Probleme. Zum Beispiel, wenn ein zentrales Skotom vorhanden ist, wird ein neues Gebiet (= bevorzugter retinaler Ort, PRL) zum Sehen bei der Fixation benutzt und wird das neue Zentrum des Gesichtfeldes. Die Planung der Augenbewegungen nutzt gewöhnlich das neue Zentrum als Zentrum für die Koordinaten der Bewegungen, oftmals besteht aber ein Wettbewerb zwischen dem anatomischen und dem neuen funktionalen Zentrum und die Augenbewegungen können ungenau sein und korrigierende Bewegungen benötigen. Die Fixation außerhalb der Fovea oder exzentrische Fixation sollte nicht verwechselt werden mit einer „verschobenen Makula“. Wenn das Narbengewebe auf der temporalen Seite der Retina die Makula temporal zieht, ist die Fovea von ihrer normalen Lage auf der optischen Achse des Auges verschoben. Dann scheint es als ob exzentrisch fixiert wird, obwohl die Person ihre/seine Fovea zum Sehen benutzt.
![]() Manchmal erscheint die Fixaktion weit von der Fovea entfernt zu sein, obwohl sie foveal ist. In diesem Fall ist die Fovea des rechten Auges durch das Narbengewebe in Richtung der temporalen Peripherie verschoben worden, so dass das Auge an einem vorbeizuschauen scheint. Die Fixaktion ist auf die Kamera gerichtet. Das linke Auge ist blind. Die am häufigsten vorkommende Ursache für diese retinale Veränderung, eine temporale Verschiebung (auswärts) sind die Narben nach den Frühgeborenenretinopathien (ROP). Nystagmus ist ein gewöhnliches motorisches Problem für sehbehinderte Menschen. Während ein normales Auge während der Fixation nur mikroskopische Bewegungen, Mikronystagmus, durchführt, hat ein Auge mit Nystagmus sichtbare, konstante oder periodische Bewegungen. Diese können horizontal, vertikal oder rotierend sein. Sehr oft lernt das Kind die Amplitude der Bewegung auf ein Minimum zu reduzieren, indem es den Kopf auf einen „Nullpunkt“ dreht oder konvergiert (= Augendrehen nach innen zum Sehen in kürzeren Entfernungen). Die Amplitude des Nystagmus kann mittels Prismen mit der Basis nach innen verringert werden und kann mit dem Alter und mittels Training abnehmen. Wenn im zentralen Gesichtsfeld kleine Gesichtsfeldausfälle (Skotome) rechts vom Fixationspunkt vorhanden sind, kann es vorkommen, dass eines von ihnen auf dem Punkt liegt, wo das nächste Wort da zu lesen ist (in Kulturkreisen wo von links nach rechts gelesen wird). Da der Beginn des Wortes in dem Skotom verschwindet, passt die sakkadische Bewegung nicht zu der Entfernung und bedingt, dass die Fixation auf einem Teil des Wortes weiter rechts landet (siehe auch Folie in der Einführungslektion ( in English )). Das verursacht Verwirrung, Korrektionsbewegungen und reduziert daher die Lesegeschwindigkeit.
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